Die Kunst des Wohnens (Teil 1)

Einer der grössten Träume und vielleicht das grösste Projekt in unserem Leben ist, unser eigenes Haus zu bauen. Warum ist das so wichtig für so viele von uns?

Von unserem eigenen Haus erwarten wir Sicherheit, Gemütlichkeit, Stabilität, Wohlbefinden und eine Verbindung zu einem Stück Land und damit ein Gefühl von Zugehörigkeit.

Doch einfach nur unser Raumbedürfnis in einen Plan zu bringen und ein ansprechendes Design zu finden, reicht nicht aus, um diese ursprüngliche Sehnsucht auf tiefster Ebene zu erfüllen. Wie können wir also sicherstellen, dass wir uns so richtig zu Hause fühlen und uns im Gefühl des Wohlbefindens und der Erhebung sonnen?

Wie wurde das früher gehandhabt?

An dieser Stelle lohnt sich eine Reise in die Vergangenheit, wo ein Hausbau noch eine heilige Fertigkeit war und man Richtlinien befolgt hat, die ebendiesen persönlichen Auftrieb der Bewohner bewirkt haben. Es war mehr als nur eine praktische Gestaltung und ein zusammenbringen von geeigneten Materialien. Es war eine Kunst, ein Gebäude zu bauen, welches mit uns in Resonanz geht, ein Gebäude, welches wir unser zu Hause nennen und uns erfreut, wenn wir zurückkehren, welches stabil und doch dynamisch ist, welches uns tief mit Mutter Erde verwurzeln lässt und gleichzeitig energetisch offen zum weiten Himmel ist, welches uns nährt mit guter Gesundheit und Wohlstand, welches das Beste aus uns heraus holt und wohl das Wichtigste, welches unser Bewusstsein zu erheben vermag. Die älteste von diesen überlieferten Wissenschaften fand man auf dem indischen Subkontinent. Sie wird Vastu genannt.

Vastu ist heutzutage auf dem Vormarsch. Vielleicht haben Sie bereits etwas von dieser nicht ganz so einfach fassbaren Wissenschaft gehört. In Indien und weltweit erfährt Vastu eine Renaissance. Aber wie mit anderen Wissenschaften lockt das auch Trittbrettfahrer an, welche vorgeben, mehr zu wissen, als sie es tatsächlich tun. Gewisse Vastu Geheimnisse wurden nämlich nur von Meister zu würdigem Schüler weitergereicht, meist nur innerhalb Familientraditionen. Solche Meister nennt man Shilpis (Vastu Steinmetze) oder Sthapatis (Vastu Architekten). Wieso hielten es diese Meister so verdeckt? Sicher nicht aus selbstischen Gründen. Diese Meister waren sich der profunden Wirkung der Vastu Architektur auf die Menschen bewusst. Und diese Macht in den falschen Händen kann missbraucht werden.

Zur heutigen Zeit

Wir befinden uns sicherlich in unsicheren Zeiten. Zumindest einer dieser zeitgenössischen Meister sah, dass Vastu für unsere heutige Zivilisation geradezu essenziell ist. Er entschied sich verschiedene ernsthafte Personen vorsichtig aber offen in dieser heiligen Wissenschaft zu unterrichten. Dieser Meister ist Dr. V. Ganapati Sthapati, dessen Familientradition in Vastu nachweislich auf die letzten 1000 Jahre zurückgeht. Er hat dieses Wissen und Fertigkeit von seinem Vater, der es wiederum von seinem Vater, usw. erhalten hat. Seine Vorfahren haben den berühmten Brihadeshwara Tempelkomplex in Tanjur in Südindien gebaut, welcher eine der eindrucksvollsten und noch immer lebhaften Tempelstädten in der Welt ist. Dr. Ganapati Sthapati selbst hat über 600 Vastu-Gebäude auf der ganzen Welt errichtet.

In seinem Streben Vastu ins öffentliche Bewusstsein zu rücken, um so den Verlauf der Menschheit positiv zu beeinflussen, schrieb und publizierte er viele Bücher und nahm viele Schüler an, unter ihnen auch einige westliche Gelehrte und Architekten, welche Vastu nun verstärkt in unsere westliche Welt bringt.

Der Ursprung

Vastu in seiner traditionellen Form geht auf zwei Personen zurück, eine namens Vishwakarma und eine namens Brahmarishi Mayan.

Vishwakarma wird als “Hauptarchitekt des Universums” betrachtet.

Brahmarishi Mayan war ein Rishi (Seher oder Weiser), der durch Introspektion und tiefes Studium der Natur viele universelle Prinzipien entdeckt hat. Er schrieb Abhandlungen über Architektur, Bildhauerei, Tanz, Musik, Poesie und weitere Künste, Astrophysik, Mathematik, Kräuterlehre, Kartografie, Schiffbau und andere. Das Surya Siddhanta, eine überlieferte Schrift, welche bei modernen Gelehrten hohe Anerkennung für ihr präzises Verständnis der Astronomie geniesst, ist vermutlich seine berühmteste Arbeit.

Seine grösste Entdeckung war die Mathematik hinter dem Schöpfungsprozess. Durch Introspektion verwirklichte er den Rhythmus (Laya) der Schöpfung aller optischen und akustischen Objekte. Auf dieser Grundlage entwickelte und verfeinerte er die fünf Künste Architektur, Bildhauerei, Tanz, Poesie und Musik. Unter den fünf Künsten war für ihn die Architektur die herausragendste, da sie die dauerhafteste Wirkung auf den Betrachter oder eben den Bewohner hat. Diese Erkenntnis verleitete ihn zur folgenden Aussage:

“Architektur ist die höchste Errungenschaft der Mathematik”

Weltweite Anwendung

Trotz der indischen Herkunft Brahmarishi Mayans sind die Prinzipien des Vastu nicht indische, sondern universelle Prinzipien. Die gleichen Grundsätze wurden von vielen verschiedenen Kulturen auf verschiedenen Kontinenten wie etwa den Mayas in Mittelamerika, den Chinesen, den Tibetern, den Japanern, Ägyptern und sogar den Römern angewendet. Auf Letztere geht die moderne westliche Architektur zurück.

Wie ist es möglich, dass all diese Kulturen die gleichen Prinzipien anzuwenden scheinen? Einerseits hatten viele Kulturen ihre Methoden, Gesetzmässigkeiten der Natur jenseits der wissenschaftlich anerkannten Naturgesetze wahrzunehmen, sich mit diesen anderen Formen der Energie zu verbinden und damit zu arbeiten. Dazu benutzten Sie Zeremonien, Rituale und Meditationen. Aber es gibt auch eine ganz bodenständige Erklärung. Wir erfahren, dass Brahmarishi Mayan zwölf Schüler hatte und er Experte für Schiffbau war. Nach dem intensiven Training seiner zwölf Schüler habe er sie in die Welt geschickt, damit die ganze Menschheit von diesen Lehren profitiert. Wir wissen, dass die Ägypter und Griechen eine enge Verbindung mit Indien hatten. Aber noch viel überraschender ist, dass Marcus Vitruvius (1. Jh. v. Chr.), ein römischer Gelehrter und Architekt, seinerzeit Kontakt zur Vastu Tradition gehabt haben muss. Seine zehn Bücher über Architektur (viele Architekturstudenten studieren sie sogar noch heute) haben starke Gemeinsamkeiten mit dem Manasara, einer alten Vastu Schrift. Der Inhalt und der Aufbau der Kapitel haben zu viele Gemeinsamkeiten, als dass es Zufall sein kann. Und da Vitruvius als Ursprung der modernen Architektur gilt, kann man schlussfolgern, dass Vastu eine der wichtigsten Wurzeln europäischer Bautradition ist.

Aber nicht nur Marcus Vitruvius’, sondern auch Andrea Palladios (16. Jh. N. Chr.) und Le Corbusiers moderne Bauten zeigen enge Parallelen zu Vastu. Die gute Nachricht für Architekturliebhaber ist, dass moderne Vastu Gebäude nicht wie Indisch anmutende Objekte aussehen müssen (ausser das wäre ausdrücklich gewünscht). Vastu kann auf praktisch jeden modernen Designstil angewendet werden.

Definition von Vastu

Kurz und bündig bedeutet Vastu: “die Energie, die ewig lebt.” Vastu, mit einem “a” ist die ursprüngliche schöpferische Energie oder Lebenskraft, welche aus eigener Kraft erstrahlt. Vastu mit zwei “a” ist die identische ursprüngliche schöpferische Energie aber in kondensierter und somit manifestierter Form.

Dr. Ganapati Sthapati (ein herausragender Vastu Architekt) zitiert oft Einsteins Gleichung E = mc2 als Beispiel. E verkörpert die ursprüngliche schöpferische Energie (Vastu), während mc2 die manifestierte Energie oder Materie darstellt (Vastu).

“Bezüglich Materie lagen wir falsch. Was wir Materie nannten, ist Energie, deren Schwingung so herabgesetzt wurde, dass sie für die Sinne wahrnehmbar wurde. Es gibt keine Materie.“ Prof. Albert Einstein

“Vastu ist die Wissenschaft der Manifestation von Energie in Materie oder materielle Form.“
Dr. V. Ganapati Sthapati

Was Vastu nicht ist

Hier folgt eine Abgrenzung von anderen Gebieten der Bau-Optimierung.

Vastu und Baubiologie
Vastu ist keine Form der Baubiologie. Natürlich ist es von Vorteil Vastu Gebäude nach baubiologischen Prinzipien zu erstellen. In früheren Zeiten bauten die alten Kulturen mit natürlichen Materialien, da es noch gar keine künstlichen Materialien gab. Falls Sie es wünschen, kann Ihr Bauvorhaben selbstverständlich auch mit herkömmlichen Materialien realisiert werden.

Vastu und Feng Shui
Vastu ist auch nicht einfach eine indische Version des Feng Shui. In der Tat wuchs Feng Shui (Wind und Wasser) aus der Kan Yu Lehre (Himmel und Erde) heraus, welches wiederum erstaunliche Parallelen mit Vastu aufwies. Kan Yu war nämlich, ähnlich wie Vastu, mehr eine Architektur- als eine Korrektur- und Optimierungslehre, wie Feng Shui heutzutage oft angewendet wird. Sowohl im Kan Yu als auch im traditionellen Feng Shui scheint man heilige Masse ähnlich zu den Vastu-Massen zu kennen. Im Vastu hält man diese noch immer als das Herz und die Seele des Entwurfsprozesses, wohingegen im Feng Shui nur noch wenige Experten diese sakralen Masse berücksichtigen. Gemäss verschiedenen chinesischen Meistern kam Kan Yu vom alten Indien nach China.

Vastu und Religion
Vastu ist auch kein Glaubenssystem oder eine Religion. Das Verständnis basiert auf rein wissenschaftlichen Prinzipien, welche die feinen Naturgesetze mit berücksichtigen.

Der lebendige Raum

Die Essenz von Vastu Architektur kann in einem wichtigen Satz zusammengefasst werden:

“Vastureva Vaastu“, was so viel bedeutet wie, es ist der feinstoffliche Raum, der sich in den manifestierten Raum wandelt.

Nach dem Verständnis von Vastu ist das gesamte Universum, also auch das sogenannte Vakuum im All, gefüllt von kleinsten Energieteilchen. Sobald man freien Raum eingrenzt, umschliesst man eine bestimmte Anzahl dieser feinen Energieteilchen. Deshalb ist jeder Raum mit lebensspendender Energie gefüllt.

„Wenn ein Bereich freien Raums isoliert und mit vier Wänden umschlossen wird, entsteht daraus ein lebendiger Organismus und der Raum beginnt in einer bestimmten Weise zu schwingen. Wenn nun ein solches Gebäude gemäss der gleichen nummerischen Ordnung wie die der Bewohner entworfen wird, werden diese Harmonie und perfekte Vereinigung mit dem universellen Selbst erfahren.“ Dr. V. Ganapati Sthapati

Wir sehen auf Basis dieses Zitats, dass das Konzept der Resonanz (zueinander passende Schwingung) ein Schlüsselfaktor im Vastu ist. Das Ziel der Vastu Architektur ist es, eine Resonanz zwischen den Bewohnern, dem geschaffenen Gebäude und der umliegenden Natur herzustellen, sodass wir mit den Energien der Erde und des Kosmos verbunden werden.

Wie können wir die Frequenz bestimmen, mit welcher ein Gebäude schwingen wird?

Vastu klärt uns auf, dass der Umfang eines Gebäudes (oder anders gesagt, die Dimension des nun umschlossenen freien Raums) die Frequenz dieses Objekts bestimmen wird. Vastu bietet uns hier eine Reihe von mathematischen Formeln an, mit denen wir einen glücksverheissenden Umfang finden können (anstatt einfach einen willkürlichen Umfang zu wählen, welcher auch entsprechend unvorhersehbare und sehr wahrscheinlich unerwünschte Resultate nach sich zieht). Diese mathematischen Schwingungen haben bestimmte vorteilhafte Eigenschaften, die bestimmte wünschenswerte Zustände im menschlichen Körper, in der Psychologie und im Bewusstsein hervorrufen. Mithilfe von Vastu Räumen, welche diese Qualitäten ausstrahlen, erfährt der Mensch dann in seinem Leben diese günstigen Eigenschaften.

Der Vastu Effekt beruht demzufolge auf wissenschaftlichen Faktoren wie Mathematik und Geometrie, den materiellen Elementen und anderen subtilen Naturgesetzen. In der Tat weisen die Lehren von Vastu sehr viele Parallelen zum modernen Verständnis der Quantenphysik auf.

Nutzen von Vastu

Mit der korrekten und präzisen Anwendung der Vastu Prinzipien können wir in Gebäuden leben, die uns mit Wohlbefinden und Lebensfreude, Wohlstand und Reichtum, starker Gesundheit und erholsamem Schlaf, Konzentration und Erfolg in Studium und Beruf, harmonischen Beziehungen und spiritueller Erfüllung dienen.

 

 

Über den Autor

Nach erfolgreichem Abschluss der ersten Diplom-Ausbildung an der deutschen Veden-Akademie Ende 2004 gründete Marc sein Vastu Beratungsunternehmen. Im Sommer 2012 absolvierte er seine zweite Vastu Ausbildung, ein umfassendes 2-jähriges internationales Vastu-Zertifizierungsprogramm in der Linie von Dr. V. Ganapati Sthapati, dem weltweit renommiertesten Sthapati (Tempelarchitekt und -erbauer).

Marc berät, plant und überwacht den Bau von Vastu Gebäuden weltweit und schafft dabei lebendige und moderne Räume. Zudem hält er Vorträge, schreibt Artikel und leitet Ausbildungen über diese kraftvolle Architekturlehre.

Bei jedem Vastu-Hausbauprojekt fasziniert es ihn aufs Neue, wie viele positive und förderlichen Kräfte freigesetzt werden und die Besitzer von mehr Harmonie, Erfolg, Wohlbefinden und spiritueller Erfüllung profitieren. Seine Vision ist es, dass jeder Mensch in solchen Räumen der Fülle und der Kraft leben kann und hat das zu seiner Lebensmission gemacht. Gerne unterstützt er auch dich bei deinem einmaligen Lebensprojekt „Eigenheim“.