Die Kunst des Wohnens (Teil 2)

Kann externe Begrenzung inneres Wachstum fördern?

Natürlich ist die Antwort ja, aber warum ist das so? Weil eine strukturierte externe Begrenzung, wie wir sie mit Vastu schaffen, eine harmonische Form, eine von Mutter Erde unterstützte Orientierung, ein energetisches Zentrum, ein glücksverheissendes Mass, eine angenehme Proportion, Symmetrie und eine ansprechende Gestaltung hervorbringt. Dr. V. Ganapati Sthapati würde sagen:

“Mit Vastu schaffen wir den Himmel auf Erden”

Das Konzept der Resonanz

Jedes Gebäude ist ein Resonanzkörper. Das zugrundeliegende Mass definiert die Frequenz dieses Körpers. Wir haben erfahren, dass das Ziel von Vastu ist, eine Resonanz zwischen den Bewohnern, der geschaffenen Struktur und der umliegenden Natur zu schaffen.

Wie können wir die Frequenz der Bewohner bestimmen? Dazu verwendet Vastu den Mondstern (in Sanskrit Nakshatra) der Personen. Anhand der vedischen Astronomie und Astrologie wird die Ekliptik in 27 Hauptsterne unterteilt. Zum Geburtszeitpunkt befindet sich der Mond, aus der Perspektive der Erde, in der Nähe von einem dieser 27 Fixsterne. Dieser Stern wird dann als unser Mondstern betrachtet, welcher ein Indikator für unsere Schwingung über unser ganzes Leben ist. Wir gestalten dann das Haus mit einem Vastu Mass, welches mit der Schwingung aller Bewohner, kenntlich gemacht durch den Mondstern, kompatibel ist.

Ein Beispiel, das uns Dr. V. Ganapati Sthapati gibt sind zwei genau gleich gestimmte Saiteninstrumente, welche nebeneinander platziert werden. Wenn nun jemand eine Saite des einen Instruments anzupft, entsteht ein Ton und die gleiche Saite des anderen Instruments beginnt von sich aus zu schwingen bis auch dort ein Ton erklingt.

Wenn wir also dieses Konzept der Resonanz berücksichtigen, bauen wir nicht einfach nur schöne und energiereiche Gebäude. Diese Häuser verbinden sich auch in kraftspendender Weise mit den Bewohnern. Diese wiederum fühlen sich materiell und spirituell bereichert und kehren jederzeit glücklich nach Hause in ihre eigene Wohlfühloase zurück.

Wunderbar passend zur Theorie der Resonanz zitieren wir hier das Feedback einer Familie, die in ihr Vastu-Haus eingezogen ist:

“Die ersten beiden Monate verspürten wir ein angenehmes Kribbeln, welches dann später einem Gefühl von zu Hause angekommen zu sein gewichen ist. Alle wurden viel ruhiger und wir erfahren eine schöne Harmonie in der Familie. Gleichzeitig geschieht viel Positives auf der Bewusstseinsebene.” Vastu-Hausbesitzer, Wangen a.d.A., Schweiz

Grundprinzipien von Vastu

Die folgenden Punkte stellen in keinster Weise eine vollständige Liste aller Vastu Aspekte dar, doch es sind die wohl essentiellsten Prinzipien, die ein authentischer Vastu Berater oder Architekt berücksichtigt. Bevor solche Prinzipien angewendet werden, sollte man sie vollständig verstehen.

Das Grundstück

Die Grundlage und der Startpunkt einer jeden Planung ist das Stück Land, auf welchem ein Gebäude errichtet werden soll. Die Qualitäten des Landes und ihre Beziehung zum Gebäude tragen zum Vastu-Effekt bei. Die Erde bietet uns verschiedenste Arten von Land an, von sumpfigem bis wüstenhaftem Land, von flachem bis stark abfallendem Land, von unfruchtbarem bis fruchtbarem Land, etc. Jeder Fleck auf der Erde besitzt spezifische Energien und kein Fleck davon ist grundsätzlich negativ. Jedes Stück Land bietet verschiedene Rahmenbedingungen, unter denen sich verschiedene Lebewesen wohlfühlen. Die Vastu-Lehre unterstützt uns, diese Qualitäten mit unseren Sinnen wahrzunehmen und differenzieren zu können. Wir suchen nach einem Grundstück, das sich für menschliche Siedlungen eignet und uns gute Resultate bringt. Wir betrachten hier die Vegetation, das Ambiente, das Gefälle und die Form des Landes und untersuchen die Erde auf Kompaktheit, Ausgasung, Fruchtbarkeit, Geschmack, Klang, Geruch und Farbe. Auch die Umgebung wird inspiziert auf umliegende Gewässer, Umweltverschmutzer, etc.

Nachdem wir fündig geworden sind, können wir vor und des Baus die Erde mithilfe von speziellen Zeremonien respektieren und sie um Segnungen für unser Vorhaben bitten.

Mathematik als Grundlage für den Umfang

Als nächsten Schritt definieren wir einen geeigneten Umfang für das geplante Gebäude. Wie wir auf der letzten Seite vernommen haben, ist es der Umfang eines Gebäudes (oder genauer gesagt, die Dimension des nun umschlossenen freien Raums), welcher die Frequenz dieses Objekts bestimmen wird. Deshalb wählen wir nicht einfach einen willkürlichen Umfang, denn ein solcher zieht auch unvorhersehbare Resultate nach sich. Das entstehende Gebäude soll eine positive Frequenz haben, die auch in Resonanz mit den Bewohnern steht. Vastu bietet uns hierfür eine Reihe von mathematischen Formeln an, mit denen wir einen glücksverheissenden Umfang finden können. Um zu verhindern, dass diese kraftvollen Formeln nicht in falsche Hände gerieten, haben die Vastu Architekten und Meister (Sthapatis) diese für Jahrtausende geheim gehalten. Ein damit geschaffenes Gebäude mit einem solchen Umfang, im Vastu auch Mutterwand genannt, wird zu einem Resonanzkörper mit Qualitäten wie geistigem Frieden, Glück und materiellem Wohlergehen. Die Schwingung eines so geschaffenen Körpers wird auf unsere Psyche und unseren physischen Körper abfärben. Und unser Denken bestimmt doch bekanntlich zu einem grossen Teil unser Leben.

Geometrie

Vastu betrachtet ein Rechteck oder Quadrat als Urform des Raums und wählt folglich die Grundstruktur eines Gebäudes in einer dieser beiden Formen. Korrekterweise ist die Grundform aber nicht rechteckig oder quadratisch, sondern kubisch. Deshalb berücksichtigen wir im Vastu nicht nur die horizontale, sondern auch die vertikale Ebene. Selbstverständlich sind innerhalb dieses Rahmens der kubischen dreidimensionalen Grundform des Gebäudes auch Variationen dieser kubischen Form sehr willkommen.

Im Einklang mit dem zuvor definierten Resonanzkörper (Umfangmasse der Horizontalen und der Vertikalen) werden nun andere Gestaltungselemente wie etwa Innenwände, Türen, Fenster, etc. mithilfe von weiteren mathematischen und geometrischen Berechnungen in die gleiche Schwingung gebracht.

Vastu Gebäude (Häuser und Büros) werden anhand von einem 9 × 9 Rasters mit insgesamt 81 gleich grossen Modulen, genannt Padas, geplant. Die Grafik links zeigt ein solches Raster abgebildet. Wir sehen eine darin platzierte Person in yogischer Pose. Dieses Raster ist bekannt als Vastu Purusha Mandala oder das Raster des personifizierten lebendigen Raums. Die Linien dieses Gitters tragen die Energie der Mutterwand in den Raum. Durch die Platzierung von Wänden, Türen, etc. an oder auf diese Linien werden diese von der gleichen positiven Energie genährt.

Das Zentrum

Innerhalb dieses 9 × 9 Rasters definieren die inneren neun Module das Zentrum eines Gebäudes (siehe Grafik auf der letzten Seite). Das Zentrum, Brahmasthan, erhält unsere besondere Aufmerksamkeit, da es die Quelle der Vastu Energien ist. Diese Energien sprudeln von hier in alle Räume und Ecken eines Gebäudes. Denken Sie beim Brahmasthan an den Nabel des Gebäudes, die Nabelschnur-Verbindung zur Quelle.

Das Zentrum ist das Herz und die Intelligenz des Raums. Das Zentrum sollte deshalb nicht durch Wände oder andere Konstruktionselemente blockiert werden, sondern frei bleiben. Dieses offene Zentrum kennen wir auch von der römischen Architektur. Dort wurde es Atrium genannt. Dieses Prinzip des offenen Zentrums ist auch der Grund, warum die Maya-Pyramiden im Zentrum frei gehalten wurden und warum alle grossen Tempelstädten in und um Indien dort ihr inneres Sanktum, den spirituellen Kern haben. Selbstverständlich muss dieses Zentrum nicht zum Himmel geöffnet bleiben, sondern kann überdacht werden. Vastu-Hausbesitzer schätzen diesen freien und von oben belichteten Raum. Er kann gestalterisch ohne Weiteres ins Wohnzimmer, in die Eingangshalle oder in den Flur, der alle umliegenden Räume verbindet, einbezogen werden. Das Zentrum des Hauses der Titelseite

Energielinien

Das Zentrum ist die Quelle der Energie. Diese Energie erhebt sich senkrecht nach oben. Sie wird oft auch als Flamme in Pyramidenform dargestellt. Pyramide heisst wörtlich “Feuer im Zentrum”. Da diese Energien nicht nur vertikal, sondern auch horizontal fliessen, versuchen wir diesen Fluss in keiner dieser Richtungen zu hemmen. Auf der Horizontalen berücksichtigen wir deshalb die beiden schwingenden Licht- oder Energiestrahlen, genannt Brahma-Sutra und Soma-Sutra und erlauben ihnen freien Durchfluss. Die Brahma-Sutra verläuft parallel zum Haupteingang durch das Zentrum des Rasters, während die Soma-Sutra senkrecht zur Brahma-Sutra verläuft (siehe Grafik auf der letzten Seite).

Doch wir berücksichtigen einen weiteren Energiestrahl, die Yoni-Linie, welche durch den Haupteingang und somit auch parallel zur Brahma-Sutra verläuft. Die Yoni-Linie soll auch frei sein, um den Fluss der Energie durch das Gebäude zu garantieren. Gegenüber dem Haupteingang sollte folglich auch eine Türe oder zumindest ein Fenster sein. Auf diese Weise verwandelt sich das Gebäude in einen lebendigen und atmenden Raum.

Gebäudeorientierung

Die Erde wird von einem feinen Energie-Raster überzogen (auf der Nord-Süd- und Ost-West-Achse), welches vom enormen Potenzial des Erdkerns gespeist wird. Viele Tiere orientieren sich an diesem Gitter. Wir können uns auch mit diesem Gitter verbinden und von seinen Kräften profitieren, indem wir Vastu Gebäude nach den Kardinalrichtungen ausrichten. Das Wunderbare ist, dass wir nicht nur Energie von der Erde erhalten, sondern auch Energie zurückgeben können, indem wir Resonanzobjekte (Vastu Gebäude) bauen, die im Einklang mit den feinstofflichen Gesetzmässigkeiten diesem Energie-Raster umgesetzt werden.

Unsere Vorväter schienen sich über das Prinzip der Orientierung sehr wohl bewusst gewesen zu sein, denn auf flachem Land wurden wichtige Gebäude meist nach den Haupthimmelsrichtungen ausgerichtet.

Türen & Fenster

Die Platzierung des Haupteinganges auf diesem 9 × 9 Vastu Purusha Mandala bestimmt, welche subtilen Kräfte wir stimulieren, wenn wir den Raum betreten und wieder verlassen. Diese Kräfte wirken auf die Psyche der Bewohner. Der Haupteingang kann grundsätzlich in jeder Haupthimmelsrichtung liegen, aber nur in bestimmten Modulen (Padas).

So wird uns ein Eingang im zentralen Süden negativ beeinflussen, wobei uns ein Eingang im vierten Pada im Ostnordosten mit der Kraft der Gesundheit und Freundschaft beglückt.

Auch bezüglich Fenster gibt es viele Hinweise, welche den uneingeschränkten Fluss der Energie fördern.

Fünf Elemente

Der feine Raum besteht aus dem Element Äther. Wenn dieser feine Raum sich in grob stofflichen Raum

verwandelt (ähnlich der Urknall-Theorie), manifestieren sich die grob stofflichen Elemente wie Luft, Feuer, Wasser und Erde. Mit anderen Worten: der feine Raum (Äther), wie auch der materielle Raum (Erde) beinhalten alle anderen Elemente. Gemäss dem Verständnis von Vastu werden sie in verschiedene Ecken eines neu geschaffenen Raums angezogen. Ziel des Vastu ist es, dass sich die Elemente uneingeschränkt in den Ecken sammeln und nicht mehr austreten können. Deshalb platziert man im Vastu nie Fenster oder Türen in den Ecken eines Gebäudes.

Die Elemente bringen gewisse Qualitäten mit in diese Bereiche eines jeden Objekts (siehe Grafik auf der letzten Seite).

Raumplatzierung

Die Qualitäten, die über die Elemente in diese Bereiche kommen, bevorzugen gewisse Raumfunktionen. Mit anderen Worten ist es das Wissen der bevorzugten Richtung der Elemente, welches uns bei der Bestimmung der idealen Platzierung der Raumfunktionen hilft. Hier einige Beispiele:

  • Äther ist das feinste der fünf Elemente und ist somit auch die Quelle aller Anderen und die Quelle des manifestierten Raums. Wir wissen, dass das Zentrum der Ursprung des manifestierten Raums ist und es ist die logische Konsequenz, dass Äther als Quelle der anderen Elemente und als Quelle des manifestierten Raums somit im Zentrum residiert (welches strickte freigehalten wird).
  • Der Nordosten wird von Wasser beherrscht und wird traditionell als die spirituell erhebende Richtung des Hauses betrachtet. Es wird für besinnliche Aktivitäten wie Studium, Meditation oder fürs Wohnzimmer verwendet.
  • Der Südosten zieht das Feuerelement an und eignet sich vorzüglich für die Küche.
  • Die Erdenergie bevorzugt den Südwesten und deshalb bringt dieser Bereich den Bewohnern Stabilität, Ruhe und Erholung. Das Elternschlafzimmer umgeben von weiteren Schlafzimmern passt also ideal in diese Richtung.
  • Luft im Nordwesten bringt dieser Richtung viel Bewegung und Veränderung. Ein Gästezimmer oder ein Büro passt hervorragend in diesen transformativen Bereich.

Neben den Elementen bestimmen aber auch verschiedene Module des Vastu Purusha Mandalas (das 9 × 9 Raster) ideale Platzierungen von Raumfunktionen. So soll ein Kochherd zum Beispiel im Modul namens Antariksha platziert werden, weil dieses Modul die Qualität der Rechtschaffenheit für den Koch und über den Koch auch ins Essen bringt.

 

 

Über den Autor

Nach erfolgreichem Abschluss der ersten Diplom-Ausbildung an der deutschen Veden-Akademie Ende 2004 gründete Marc sein Vastu Beratungsunternehmen. Im Sommer 2012 absolvierte er seine zweite Vastu Ausbildung, ein umfassendes 2-jähriges internationales Vastu-Zertifizierungsprogramm in der Linie von Dr. V. Ganapati Sthapati, dem weltweit renommiertesten Sthapati (Tempelarchitekt und -erbauer).

Marc berät, plant und überwacht den Bau von Vastu Gebäuden weltweit und schafft dabei lebendige und moderne Räume. Zudem hält er Vorträge, schreibt Artikel und leitet Ausbildungen über diese kraftvolle Architekturlehre.

Bei jedem Vastu-Hausbauprojekt fasziniert es ihn aufs Neue, wie viele positive und förderlichen Kräfte freigesetzt werden und die Besitzer von mehr Harmonie, Erfolg, Wohlbefinden und spiritueller Erfüllung profitieren. Seine Vision ist es, dass jeder Mensch in solchen Räumen der Fülle und der Kraft leben kann und hat das zu seiner Lebensmission gemacht. Gerne unterstützt er auch dich bei deinem einmaligen Lebensprojekt „Eigenheim“.